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Ein «Bürogummi» mit Comedy-Talent

Können Kaufleute Comedians werden? Ganz offensichtlich. Nach dem KV ist Nathanaël Rochat seinem Traum gefolgt: Heute unterhaltet er die Westschweiz und bringt Zuhörer:innen wie Zuschauer:innen zum Lachen.

Nathanaël Rochat ist vertieft in die Lektüre von 20 Minuten. «Ich lese nicht, um mich zu informieren, sondern um sicherzugehen, dass mir keine Perlen für meine nächste Radiokolumne entgehen», berichtet er. Nathanaël Rochat stammt aus dem Vallée de Joux (VD) und ist Comedian. Er ist sowohl auf der Bühne zu erleben als auch im Radio: Mehrmals monatlich sind seine Kolumnen in der RTS-Sonntagssendung «Les beaux parleurs» zu hören. Daneben tritt er bei Abend- und Galaveranstaltungen von Unternehmen und Verbänden auf. Diese Events sind für das finanzielle Überleben entscheidend. «Es ist eine schwierige Aufgabe, weil das Publikum jedes Mal anders ist und ich nicht unbedingt einen Aktenordner voll passender Witze auf Lager habe.» Er legt grossen Wert darauf, dass das Publikum sich direkt angesprochen fühlt. Ausserdem beteiligt er sich an Bühnenprogrammen mit anderen Comedians. «Das mache ich am liebsten: Es ist nicht besonders gut bezahlt, aber es sind schöne Momente, weil ich unter meinesgleichen bin. Wir haben Spass und wir mögen uns, auch wenn wir uns manchmal gegenseitig ein wenig beneiden.»

Glück und Stress

Sein Stil ist, wie Nathanaël Rochat selbst sagt, volksnah. «Ich versuche, mich in Herrn und Frau Schweizer hineinzuversetzen, und frage mich, was das Publikum zu diesem oder jenem Thema sagen würde. Mit dem gesunden Menschenverstand der Allgemeinheit.» Auch wenn seine Kolumnen die Entscheidungstragenden in Politik und Wirtschaft mitunter bissig kommentieren, sind sie doch nie zu boshaft: «Mein Grundsatz besteht darin, immer dümmer auszusehen als die, die ich angreife. Und das ist auch häufig der Fall», schmunzelt er. Der Comedian beherrscht ausserdem die Kunst, am Thema vorbeizureden, insbesondere in heiklen Dingen. Statt sich direkt zu der heftigen Debatte in Lausanne zum Dealen auf der Strasse zu äussern, macht er sich lieber über die etwas altmodische Lausanner Polizei lustig, die per Fahrrad und Camper für Sicherheit in der Stadt sorgt.

«Auf der Bühne vor einem lachenden Saal fühlt man sich ein wenig wie ein Rockstar. Und es ist sehr befriedigend, wenn die Leute mir positive Rückmeldung geben und mich bitten, sie weiter zum Lachen zu bringen.» Aber auch wenn der Beruf manch einen träumen lässt, so hat er doch auch seine Schattenseiten. Die regelmässigen Termine bringen jede Menge Stress: «Als Comedian ist man immer auf der Suche nach Themen. Ausserdem lässt sich alles, was einen umgibt, potenziell aufgreifen. Deshalb hat man nie Pause. Die Arbeit verfolgt einen und es ist sehr schwierig, abzuschalten», berichtet er. Auch die Arbeitszeiten haben ihre Nachteile: «Meistens tritt man auf, wenn alle anderen frei haben. Man lebt also immer leicht verschoben. Als Vater beispielweise, ist das nicht immer leicht.»

«Meistens tritt man auf, wenn alle anderen frei haben. Man lebt also immer leicht verschoben. Als Vater beispielweise, ist das nicht immer leicht.»
Was Nathanaël Rochat als Künstler herausfordert:

Vom Büro auf die Bühne

Vor seiner Karriere als Künstler war Nathanaël Rochat kaufmännischer Angestellter. Er absolviert die Ausbildung, ohne sich dazu wirklich berufen zu fühlen: «Ich machte damals ein ‹Zwischenjahr› nach dem anderen. Ich wollte studieren, aber es lief nicht wie geplant. Auf Druck meiner Eltern begann ich eine kaufmännische Ausbildung in einer Anwaltskanzlei.» Die Erfahrung hinterlässt keine bleibenden Eindrücke bei ihm: «Man setzte mich vor einen Computer und gab mir zu tun. Punkt. Ich musste mir alles selbst beibringen. Vor allem hatte ich den Eindruck, eine billige, gutmütige Arbeitskraft zu sein, die man in die Reinigung schicken konnte, um die Hemden des Chefs abzuholen.» Der Leiter der Kanzlei ist schlecht organisiert und verlangt regelmässig Überstunden, besonders abends. «Als Kind lernt man, den Erwachsenen zu gehorchen. Ich dachte, das sei normal, und hatte auch einen gewissen Anspruch, gute Arbeit zu leisten. Erst später, als ich zu einer anderen Kanzlei wechselte, wo man mich auch dann nach Hause schickte, wenn ich meine Arbeit nicht ganz erledigt hatte, wurde mir klar, dass es auch anders geht», erinnert er sich.

Zur selben Zeit besteht er das Auswahlverfahren für die Fluglotsenausbildung. «Das ist ein recht angesehener Beruf, der sicherlich interessant gewesen wäre. Aber ich hatte künstlerische Ambitionen, und mich beschlich das Gefühl, dass ich mich mit der Entscheidung für diese Ausbildung plötzlich als Rentner wiederfinden würde, der seine Träume aufgegeben hat.» Er entscheidet sich also dafür, in Teilzeit als Anwaltssekretär weiterzuarbeiten, um Zeit für die Verwirklichung seiner Träume zu haben.

Auch wenn sich Nathanaël Rochat später daran erinnert, als Kind zu verschiedenen Gelegenheiten auf Familienfeiern Sketche vorgeführt zu haben, schlägt er zunächst nicht die Richtung von Bühne und Comedy ein. «Ich wollte ernste Sachen machen. Ich habe sehr viel geschrieben. Vor allem Gedichte.» Seine Texte bleiben jedoch in der Schublade. Dagegen beginnt er, auf offenen Bühnen in Lausanne und Yverdon mit Sketchen aufzutreten: «Anfangs war es einfach ein Hobby. Ich bereitete mich wochenlang vor.» Nach und nach ergibt sich alles: Der Agent Pierre Naftule bietet ihm seine Dienste an, und er wird für Kolumnen für die Radiosendung «La soupe est pleine» engagiert: «Die Tatsache, dass man mich bezahlte, hiess, dass meine Arbeit einen Wert hatte und ich all die Jahre nicht umsonst so viel geschrieben hatte. Es war eine Art von Anerkennung.» Er erhält immer mehr Engagements und beschliesst 2012, sich ganz der Comedy zu widmen: «Nach zehn Jahren in einer Kanzlei hatte ich das Gefühl, alles zu kennen, und sagte mir, dass es besser sei, nur eine Sache ganz statt zwei Sachen halb zu machen», erklärt er mit einem kleinen Schmunzeln.

«Erst später, als ich zu einer anderen Kanzlei wechselte, wo man mich auch dann nach Hause schickte, wenn ich meine Arbeit nicht ganz erledigt hatte, wurde mir klar, dass es auch anders geht.»
Nathanaël Rochat über seine Zeit als kaufmännischer Mitarbeitender:

Blick zurück

Nathanaël Rochat bereut seine kaufmännische Vergangenheit keineswegs. «Ich war nicht unglücklicher als jetzt. Die Gespräche mit den Arbeitskollegen, die Kontakte nach aussen und die regelmässigen Arbeitszeiten haben ihren Wert und fehlen mir mitunter», berichtet er. Vor fünf Jahren hatte er noch eine Sammlung komisch-spöttischer Elemente aus seinem Arbeitsalltag. Vor allem kann er dank seiner in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen seine kleine Comedy-GmbH, deren Geschäftsführer und einziger Gesellschafter er ist, professionell leiten.

Erstmals veröffentlicht: 1.6.2018
Aktualisiert: 24.1.2022

«Die Gespräche mit den Arbeitskollegen und die regelmässigen Arbeitszeiten haben ihren Wert und fehlen mir mitunter.»
Nathanaël Rochat vermisst aus aus seiner Zeit als «Bürogummi»:

Autor

  • Dominique Nussbaum

Foto

  • Louise Rossier

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