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Wenn alle Wege zur Sozialpartnerschaft führen

Dank seiner abwechslungsreichen und unkonventionellen Laufbahn kann Benjamin Plüss sein Wissen und seine Erfahrung in einer beruflichen Tätigkeit einsetzen, die mit seinen Werten und Interessen in Einklang steht.

Eine zusammenhängende berufliche Laufbahn muss ganz offensichtlich nicht unbedingt einer geraden Linie folgen. Arbeitet man im Bereich der Sozialpartnerschaft, spielen die persönlichen Erfahrungen und Kompetenzen eine ganz besondere Rolle, da es auf diesem Gebiet keine spezifische Ausbildung gibt.

Benjamin Plüss ist Assistent Sozialpartnerschaft beim Kaufmännischen Verband in Neuchâtel. In seiner Funktion besucht er Filialen grosser Detailhändler, deren Mitarbeitende einem der Gesamtarbeitsverträge (GAV) des Kaufmännischen Verbands unterstellt sind. Ziel dieser Besuche ist es, die Mitarbeitenden über ihre Rechte zu informieren und ihre Fragen rund um die Arbeitsbedingungen zu beantworten. Darüber hinaus geht es darum, ihnen die Rolle und die Aktivitäten des Kaufmännischen Verbands auf diesem Gebiet zu präsentieren. «Die Mitarbeitenden wissen im Allgemeinen nur wenig darüber Bescheid, wie die Sozialpartnerschaft funktioniert: Sie zeigen deshalb oft Interesse und schätzen es, dass sich jemand für ihren Berufsalltag interessiert», erklärt Benjamin Plüss.

Die Anliegen der Mitarbeitenden aufnehmen

Während diesen Besuchen nimmt er auch die Anliegen der Mitarbeitenden im Hinblick auf zukünftige GAV-Verhandlungen auf: «Die Bedürfnisse können von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein. Es ist deshalb wichtig, die Anliegen der Leute und der Alltag vor Ort so gut wie möglich zu kennen», fügt der Spezialist hinzu. Es gibt jedoch Themen, die immer wiederkehren, etwa die tägliche Arbeitszeit, die festen Urlaubstage oder die Gesundheit am Arbeitsplatz: «Die Arbeit in dieser Branche ist geistig und körperlich anstrengend, vor allem mit zunehmendem Alter. Man trägt viele Lasten, ist häufig auf den Beinen und erfüllt stets eine repräsentative Rolle gegenüber der Kundschaft.»

Benjamin Plüss legt grossen Wert darauf, die Leute zu motivieren, sich laufend weiterzubilden: «Viele Personen im Detailhandel verfügen über keine Ausbildung oder über ausländische Diplome, die in der Schweiz nicht anerkannt sind. Es gibt Möglichkeiten, dem abzuhelfen, insbesondere durch das Nachholen einer Lehre, aber viele Mitarbeitende haben leider andere Prioritäten.» Dennoch kennt der Sozialpartnerschaft-Spezialist hilfreiche Mittel, dieses Problem zu lösen: «Mit Lidl haben wir z. B. die Gewährung von zusätzlichen Freitagen ausgehandelt, damit die Mitarbeitenden an den Prüfungen teilnehmen können. Die Tatsache, dass zuvor Ferientage genommen werden mussten, stellte ein Hindernis für die Weiterbildung dar. Es handelt sich deshalb um eine wahre Errungenschaft», so Benjamin Plüss.

Engagement im Dienste der Gleichberechtigung

Benjamin Plüss vertritt auch den Kaufmännischen Verband bei der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, dem Beratungsgremium des Bundes für alle Fragen rund um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Schweiz. «Die Ziele dieser Kommission liegen mir am Herzen, und ich bin der Meinung, dass diese Einrichtung eine wichtige Brückenfunktion zwischen Politik, Behörden und Zivilgesellschaft wahrnimmt», erklärt Benjamin Plüss, der übrigens davon überzeugt ist, dass seine berufliche Laufbahn und seine Tätigkeit einen echten Mehrwert darstellen: «Themen wie die Vertretung von Frauen in politischen Einrichtungen und Gremien sind äusserst wichtig und legitim. Darüber hinaus ist es jedoch unerlässlich, auch die Frauen zu vertreten, die über ein geringes Bildungsniveau verfügen. Da ich meine erste berufliche Qualifikation mit 38 Jahren erworben habe und alleine mit meinen zwei Kindern lebe, glaube ich, die Probleme dieser Frauen bis zu einem gewissen Grad zu verstehen, auch wenn ich ein Mann bin.»

Ein Karrierebeginn im sozialen Bereich

Die berufliche Laufbahn von Benjamin Plüss verlief keineswegs geradlinig. Nach der obligatorischen Schulzeit, die er übrigens nicht abgeschlossen hat, da er eine Klasse wiederholen musste, führte ihn seine Leidenschaft für Basketball für ein Austauschjahr nach Arizona, obwohl er kein Wort der Sprache Michael Jordans beherrschte. «Ich konnte im Basketballteam der High School, die ich besuchte, mitspielen. Der Sport ist dort ein wirklicher Bestandteil des Lehrplans, und die Bedingungen dafür sind deshalb hervorragend: Jeden Tag hatte ich Training. In der Schweiz wäre das unvorstellbar gewesen, selbst im Rahmen einer kantonalen Selektion. Ich konnte mich also meiner Leidenschaft widmen und lernte gleichzeitig Englisch, das ich schnell beherrschte», erinnert er sich.

Wieder zurück in der Schweiz sammelte Benjamin Plüss verschiedenste Erfahrungen, unter anderem als Praktikant im sozialen Bereich, Kellner in Bistros, Dolmetscher für englische Touristen, Arbeiter in einer Giesserei und Plattenverkäufer.

Ein Einsatz als Hilfspädagoge in einer nichtklinischen psychiatrischen Einrichtung führte zu einer Wende in seiner Laufbahn: «Ich hatte das Gefühl, an meinem Platz zu sein und mich in diesem Bereich weiterentwickeln zu können», erzählt er. Später leistete er Zivildienst in einem Heim, das ihm anbot, ihn nach dessen Ende fest anzustellen. Alles schien wie am Schnürchen zu laufen. «Es war vorgesehen, dass ich eine verkürzte Lehre für den Berufsabschluss Assistent Gesundheit und Soziales (AGS) nachhole und eine Ausbildung als Sozialpädagoge mache», erinnert sich Benjamin Plüss. Dann kam jedoch alles anders: Eine unheilbare Autoimmunerkrankung setzte ihn plötzlich ausser Gefecht und zwang ihn, ein Jahr lang nicht zu arbeiten. Als es ihm nach und nach wieder besser ging, musste er sich beruflich neu orientieren, wobei er mit den physischen Grenzen, die ihm seine Krankheit auferlegt, umgehen konnte.

«Es war vorgesehen, dass ich eine verkürzte Lehre für den Berufsabschluss Assistent Gesundheit und Soziales (AGS) nachhole und eine Ausbildung als Sozialpädagoge mache.»
Benjamin Plüss über seine geplante berufliche Laufbahn:

Berufliche Neuorientierung im kaufmännischen Bereich

Benjamin Plüss entschied sich für eine Ausbildung als kaufmännischer Angestellter, die durch die Invalidenversicherung (IV) finanziert wurde. Der Zufall wollte es, dass er für seine Ausbildung eine Einrichtung fand, in der er die Verbindung zum sozialen Bereich erhalten konnte: «Ich fand eine Stelle bei PerspectivePlus, einem Zentrum für die berufliche Ausbildung, Orientierung und Wiedereingliederung. Da es erst dabei war, seine Tätigkeit aufzunehmen, verfügte es nur über wenige Mittel. Als Senior-Lehrling mit Erfahrungen im sozialen Bereich hatte ich das ideale Profil. Im Gegenzug dafür nahm mich der Direktor unter seine Fittiche, was mir eine Ausbildung unter hervorragenden Bedingungen ermöglichte», sagt Benjamin Plüss.

Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung arbeitete er in einem Unternehmen, das Software für den medizinischen Bereich entwickelte, und anschliessend in einem Online-Shop, der auf das Sport-Outlet spezialisiert war. Nach einer Umstrukturierung des Unternehmens, bei der ein Drittel der Belegschaft gekündigt wurde, war Benjamin Plüss arbeitslos.

Er wurde auf ein Stellenangebot beim Kaufmännischen Verband im Bereich Sozialpartnerschaft aufmerksam: «Es wurde eine kommunikative Person mit einer kaufmännischen Ausbildung, einer gewissen Berufs- und Lebenserfahrung und guten Deutschkenntnissen benötigt: Mein ungewöhnliches Profil war von Vorteil, und es hat geklappt. Heute arbeite ich in einem Bereich, der für mich einen Sinn ergibt, mit meinen Wertvorstellungen in Einklang steht und ich meine Erfahrungen einbringen kann: Dies schafft eine positive Dynamik.»

«Als Senior-Lehrling mit Erfahrungen im sozialen Bereich hatte ich das ideale Profil.»
Benjamin Plüss über seine Lehre bei PerspectivePlus:

Selbstverwirklichung in der Musik

Neben seinem Berufs- und Familienleben widmet sich Benjamin Plüss intensiv seiner Leidenschaft für die Musik. Und zwar als Sänger der Metal-Band Almøst Human, die derzeit in der Schweiz und in den Nachbarländern einen hohen Bekanntheitsgrad geniesst. In ihren Liedern hinterfragt die Gruppe den Platz des Menschen auf der Erde. Obwohl die Gruppe fest in der Metal-Kultur verankert ist, misst sie der Melodie und den Gefühlen viel Bedeutung zu. «Diese Leidenschaft verlangt viel von mir, gibt mir aber auch viel zurück. Und sie erlaubt mir, mich auszudrücken», erklärt er.

Erstmals veröffentlicht: 22.10.2020
Letzmals akutalisiert: 1.3.2022

«Diese Leidenschaft verlangt viel von mir, gibt mir aber auch viel zurück.»
Benjamin Plüss über seine musikalische Leidenschaft:

Autor

  • Dominique Nussbaum

Foto

  • Estelle Vidon

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