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«Wir müssen wieder lernen, uns zu entspannen»

Der Stress in unserem Alltag führt bei vielen zu unruhigen Nächten. Ein Schlafmediziner sagt, wie man sich entspannen kann. Doch auf Knopfdruck funktioniert das nicht.

Context: Wenn man schlecht geschlafen hat, kann arbeiten zur Qual werden – vor allem in sitzenden Berufen. Wie kann man seinen Schlaf verbessern?

Jens Acker: Schlafmangel ist eine Zivilisationserscheinung und Schlafstörungen sind sehr häufig. Viele Menschen stehen unter Daueranspannung und können am Abend kaum mehr abschalten. Wir müssen wieder lernen, uns zu entspannen.

Wie zum Beispiel?

Das funktioniert eben nicht auf Knopfdruck am Abend. Wir wollen unseren Schlaf optimieren, damit wir am anderen Morgen wieder fit und leistungsfähig sind. Nur schon dieser Denkansatz ist kontraproduktiv: Entspannungsmomente sollten in den Alltag eingebaut und zur Kultur werden. Leider werden Ruhepausen hierzulande meist mit Faulheit assoziiert.

Helfen Gute-Nacht-Rituale?

Man muss ein Erwachsenen-Ritual finden, das zu einem passt. In unserer Klinik arbeiten wir zum Beispiel mit der Ruhestuhl-Technik aus der Verhaltenstherapie. Am Abend setzen sich die Patientinnen und Patienten ruhig hin und schreiben die Ereignisse des vergangenen Tages sowie die Pläne für den nächsten Tag auf. So kann man Sorgen deponieren und das Gehirn vom Gedankenkreisen entlasten.

Was für eine Rolle spielt die Digitalisierung?

Die digitalen Medien sind heutzutage der Schlafkiller Nummer eins. Viele sind total abhängig von ihren Geräten und unterschätzen massiv, wie oft sie drauf schauen. Sie kontrollieren sogar nachts mehrmals die Nachrichten auf dem Smartphone. Doch auch die stetige Erreichbarkeit tagsüber führt zu einer erhöhten Grundanspannung, die den Schlaf beeinträchtigt.

Zur Person
Dr. med. Jens Acker ist Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin in Zurzach und am Flughafen Zürich.

Was kann man dagegen tun?

Wer nicht gut schlafen kann, sollte sich einer strikten digitalen Hygiene unterziehen. Zum Beispiel sollte man das Geschäftsmail am Feierabend nicht mehr anschauen. Was nützt es einem, wenn man am Abend erfährt, dass ein Projekt schlecht läuft? Das Handy gehört nicht ins Schlafzimmer.

Was halten Sie von diesen Armbändern, die Körperfunktionen aufzeichnen – unter anderem den Schlaf?

Nicht viel. Was den Schlaf betrifft, sind die meisten ungenau. Sie messen nur die Bewegungen und diese sagen wenig über die Schlafqualität aus. Viele Menschen sind heute auf diese Diagramme fixiert. Dabei ist Schlaf eine Körperfunktion, die wir nicht kontrollieren und optimieren müssen. Bei gestörtem Schlaf ist das eigene Gefühl wichtiger als die Technik.

Büromenschen fehlen wohl häufig auch Bewegung und Tageslicht.

Genau. Diese Faktoren beeinträchtigen den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Gesundheitsbewusste bewegen sich zwar im Fitnesscenter, kriegen da aber kaum Tageslicht ab. An den kurzen Tagen im Winter kann das zum Problem werden. Man sollte deshalb täglich, auch bei Regenwetter, mindestens eine halbe Stunde nach draussen gehen, solange es noch hell ist. Hilfreich sind auch spezielle, sehr helle Lampen am Arbeitsplatz. Die Lichttherapie hat sich bei Veranlagung zu Depressionen bewährt, verbessert aber auch die geistige Präsenz. Sie wirkt etwa so stimulierend wie ein Espresso.

«Die Lichttherapie hat sich bei Veranlagung zu Depressionen bewährt, verbessert aber auch die geistige Präsenz.»
Jens Acker

Wie viel Schlaf brauchen wir eigentlich?

Das ist individuell. Die meisten brauchen mindestens sechs Stunden, einige sogar bis zu neun Stunden täglich. Viele Berufstätige schlafen unter der Woche weniger und holen am Wochenende nach. Dieser sogenannte soziale Jetlag funktioniert nicht für alle gleich gut. Wer seine Arbeitszeit flexibel gestalten kann, sollte unbedingt davon Gebrauch machen. Denn je ausgeschlafener, desto vitaler ist man.

Darf man zwischendurch mal eine Pille einwerfen?

In Ausnahmefällen: Ja. Aber es darf nicht zur Regelmässigkeit werden, weil man schnell abhängig wird. Weniger verhängnisvoll als potente Schlafmedikamente sind Melatonin - ein körpereigenes Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert - oder pflanzliche Mittel. Nicht bei allen ist die Wirksamkeit zwar wissenschaftlich erwiesen. Aber einen beruhigenden Tee zu trinken ist sowieso ein sinnvolles Abendritual - unabhängig vom Inhalt.

Wann sollte man bei Schlafstörungen einen Arzt aufsuchen?

Fast alle Menschen schlafen zuweilen nicht gut. Wenn das etwa einmal die Woche vorkommt, ist es kein Grund zur Beunruhigung. Von einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung spricht man, wenn sie mindestens drei Monate andauert und die Konzentration und Lebensqualität darunter leiden. Dann ist es an der Zeit, sich dem Problem anzunehmen. Denn manchmal stecken auch andere Krankheiten dahinter – etwa Schnarchen mit Atempausen, Bein-Unruhe, Eisen- und Vitaminmangel oder Störungen der Schilddrüsenfunktion.

«Von einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung spricht man, wenn sie mindestens drei Monate andauert und die Konzentration und Lebensqualität darunter leiden.»
Jens Acker

So verbessern Sie Ihren Schlaf:

  • Möglichst regelmässig schlafen und den persönlichen Rhythmus berücksichtigen.
  • Smartphone, Tablet und Computer gehören spätestens eine Stunde vor der Bettzeit abgeschaltet. Denn die blauen Wellenlängen des Bildschirmlichts stören den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus – genauso wie die Inhalte.
  • Vor dem Einschlafen einen Gang herunterschalten, langsam zur Ruhe kommen. Am besten mit einem passenden Gutenacht-Ritual: lesen, einen warme Tee trinken, den Tag Revue passieren lassen, Musik hören
  • Für angenehme Bedingungen im Schlafzimmer sorgen: Dunkelheit, Ruhe, Heizung abschalten
  • Nächtliches Erwachen: Wenn man nicht wieder einschlafen kann, besser aufstehen statt sich unruhig im Bett hin- und herzuwälzen. Bei gedämpftem Licht lesen, Musik hören, Entspannungstechniken ausprobieren (zum Beispiel Atemübungen, autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson)
  • In nächtlichen Wachphasen kreisen die Gedanken häufig um Probleme. Die Stimmung fällt ab und Mücken werden zu Elefanten. Dieses Phänomen hängt wahrscheinlich mit hormonellen Schwankungen zusammen. Darum zu wissen, kann helfen, die Sorgen zu relativieren.
  • Sanfte Mittel einsetzen: Baldrian, Melisse, Hopfen, Orangenblütentee oder Honigmilch.
  • Schlaftagebuch führen (Unterstützung bieten diverse Apps)
  • Schlaf-Apneu ausschliessen: Die App SnoreLab zeichnet die Schnarchgeräusche auf und gibt Hinweise, ob man wegen versperrter Atemwege aufwacht.
  • Online Training zur Bewältigung von Schlafstörungen: www.mementor.ch

Veröffentlicht am: 29.5.2020

Weitere Informationen

Autorin

  • Andrea Söldi

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