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Philosophin und Singer-Songwriterin

Patricia Morf, 35, denkt gerne nach und komponiert Songs. Wenn es im Job stimmt, blüht sie auf. Nun studiert sie Philosophie.

Sie hat in ihrem Leben schon vieles gemacht. KV, Anstellung bei der reformierten Landeskirche, Mitarbeiterin im kantonalzürcherischen SP-Sekretariat, Office Managerin in einem Unternehmen für Architektur & Visualisierung. Matura auf dem zweiten Bildungsweg. Nun studiert Patricia Morf Philosophie und Geografie. Und macht Musik. Sie spielt Gitarre und komponiert eigene Songs. Seit gut einem Jahr gibt sie auch Konzerte. Pat the Cat nennt sich die Singer-Songwriterin. «Ich weiss nicht, wie ich zu diesem Künstlernamen gekommen bin», sagt sie und lacht.

Überhaupt lacht sie oft, wenn sie erzählt, kommt vom einen zum anderen, denkt nach, fragt und wundert sich. «Ja, warum ist das eigentlich so? Weshalb haben Menschen so unterschiedliche Einstellungen?» Patricia ist ein neugieriger Mensch. Sie mag Gespräche, interessiert sich für Politik, Gesellschaft, Literatur und Film.

Am Anfang das KV

Patricia spricht schnell und mit Witz. Sie redet gerne und hört anderen zu. Ihre Laufbahn hat sie nie gross geplant. Sie liess sich treiben, begegnete Menschen, die sie prägten und entschied oft intuitiv. «Ich mach jetzt einfach mal das», sagte sie sich jeweils, wenn es um Jobs ging.

Angefangen hat ihr Berufsleben mit dem KV, das sie bei der reformierten Landeskirche absolvierte. Sie arbeitete in mehreren Abteilungen, hatte mit Arbeitslosen zu tun, war aber auch mit Finanzen und Personal beschäftigt. «Eine tolle Zeit! Ich habe menschlich sehr viel gelernt», erinnert sie sich. 2005 schloss sie die Lehre mit der Berufsmaturität ab. Sie arbeitete danach weitere drei Jahre bei der Landeskirche, war tätig im Fachmitarbeitersekretariat für die Jugendarbeit und die Behördenschulung. Dann bewarb sie sich auf eine andere interne Stelle. Doch der Personalchef winkte ab und sagte: «Patricia, du machst es dir zu einfach. Du musst weiterziehen.»

«Eine tolle Zeit! Ich habe menschlich sehr viel gelernt.»
Patricia Morf über ihren Berufseinstieg:

Die Reise

«Natürlich hatte er recht.» Nach einer Reise in die USA kündigte Patricia ihren Job und bewarb sich anschliessend erfolgreich um eine Stelle auf dem Parteisekretariat der SP des Kantons Zürich. Finanzen, Administration, Mitglieder- und Lehrlingsbetreuung – ein spannender Job. Und ihre Arbeit wurde offenbar geschätzt. Als die Stelle des Fraktionssekretärs vakant war, bot man ihr den Job an. Die damals erst 23-Jährige übernahm die Aufgabe für einige Wochen, fühlte sich aber überfordert. «Ich wusste zu wenig.» Überhaupt beeindruckte Patricia das Wissen ihrer Arbeitskolleginnen und -kollegen; die meisten von ihnen hatten einen Hochschulabschluss. Überall lagen Zeitungen herum, man sprach über Politik und Philosophie, Geschichte und Gesellschaft. Das faszinierte die junge Frau, schüchterte sie aber auch ein wenig ein. Bald einmal war ihr klar: Ich will auch einmal studieren.

Dazu brauchte sie die Matura. Sie absolvierte die Zulassungsprüfung für die Kantonale Maturitätsschule für Erwachsene (KME) und begann 2011 die Vollzeitweiterbildung. Die meisten KME-Studierenden sind ziemlich gefordert. Das Programm ist happig: Deutsch und andere geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer, Fremdsprachen, Naturwissenschaften sowie ein Schwerpunktfach. Bei Patricia ist das Musik. Plötzlich sitzt man wieder den ganzen Tag in der Schule, muss am Abend und am Wochenende lernen, verzichtet auf Freizeit und hat sich mit wenig Geld zu begnügen. Patricia störte das nicht, denn sie war motiviert, traf «tolle Lehrerpersönlichkeiten», wurde mit neuen Ideen und Gedanken konfrontiert. «In dieser Zeit spielte ich zum ersten Mal mit dem Gedanken, Philosophie zu studieren.»

«In dieser Zeit spielte ich zum ersten Mal mit dem Gedanken, Philosophie zu studieren.»
Patricia Morf über die Zeit an der Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene:

Lust auf anderes

Nach der Matura hatte sie erst einmal Lust auf ganz anderes. Ihr Kopf war voll mit Bildung. So spannend Patricia die Ausbildung erlebt hatte, sie wollte nicht gleich weiterstudieren. Wieder arbeiten, wieder Geld verdienen. Die Ersparnisse waren unterdessen aufgebraucht, obwohl sie neben der KME verschiedene kleine Jobs ausführte: als Schuhverkäuferin, als Babysitterin, als Teilzeitmitarbeiterin in einer Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte und als Hilfskraft auf einer Gemeindeverwaltung.

Einen Job fand sie nach der KME leicht – dank weit zurückliegender Vorgespräche. Patricia hatte sich zu Beginn ihrer Ausbildung bei einer hippen Agentur beworben, die auf Industrial Design und architektonische Visualisierungen spezialisiert ist. Aber daraus wurde nichts, weil ein Teilzeitpensum für diese Stelle nicht infrage kam. Agenturleiter und Patricia, die sich auf Anhieb gut verstanden hatten, bedauerten gleichermassen, dass es zu keiner Anstellung kam. Dafür klappte es drei Jahre später. Sie meldete sich nämlich kurz vor der Matura bei «diesen coolen und smarten Jungs, die mit Kopfhörern vor den Screens hocken und Kluges aushecken». Und siehe da, der Zeitpunkt war goldrichtig. Die Maturfeier fand am 1. Juli statt. Am 2. Juli trat Patricia den Job in der Agentur an.

Sie war zuständig für die Projektadministration und arbeitete eng mit der Geschäftsleitung zusammen. Sie schrieb Offerten, durfte auch Kunden beraten und schmiss den Laden im Backoffice. Und sie war im Haus, wie sie sagt, die gute Fee. Sie schaute, dass sich alle wohlfühlten, sorgte dafür, dass es an nichts fehlte, organisierte Teamausflüge und sagte: «Jungs, heut back ich einen Kuchen.» Patricia schwärmt von diesem Job. «Alles hat gestimmt: anspruchsvolle Arbeit und ein spannendes Team.»

«Alles hat gestimmt: anspruchsvolle Arbeit und ein spannendes Team.»
Patricia Morf über ihre Zeit bei einer Agentur:

Lesen und Denken

Nach zwei Jahren war ihr Kopf gelüftet. Sie war wieder hungrig nach Wissen, nach Lesen und Denken. Ihren Job überliess sie mit etwas Wehmut einer Nachfolgerin und schrieb sich an der Universität Zürich für Philosophie und Geografie ein. Das erste Semester hat sie nun hinter sich. Ihre Bilanz ist positiv, und mit dem relativ freien Philosophiestudium kommt sich gut zurecht. «Man muss sich selber eine Struktur geben.» Oft liest sie in der Bibliothek des Philosophischen Seminars, einem altehrwürdigen Ort mit Blick auf die Altstadt. Das hört sich idyllisch an, ist es aber nicht. «Die Texte sind brutal anspruchsvoll», sagt sie. «Du liest drei, vier Seiten in vier Stunden und bist k.o.» Aristoteles, Locke, Hume, Kant – das sind fordernde Lektüren. «Es braucht Ausdauer und Disziplin. Aber ich schule das Denken und eigne mir eine Sprache an, mit der ich komplexe Zusammenhänge verstehe.»

Pat the Cat. Die Musik ist Patricias andere Welt. In den Songs, die sie schreibt, finden ihre Gefühle Ausdruck. Hier kann sie sagen, wie sie liebt, woran sie leidet, wie sie ihren Alltag bewältigt. Vorbilder sind die archaischen Mississippi Deltablueser. Robert Johnson, Willi Brown, Rory Block. Sie mag auch Eva Cassidy und Rise Against.

Als Kind besuchte Patricia Gesangsstunden, bis sie im Estrich ihrer Grossmutter eine Gitarre fand und sich selber das Spielen beibrachte. Mit 18 nahm sie Lektionen und schrieb erste Lieder. Die Singer-Songwriterin spielt mit einem Freund regelmässig in einer Bar oder an Firmenanlässen. Noch hören die Leute nicht richtig zu, essen, trinken, palavern und im Hintergrund sind Pat the Cat und der Freund am Sax oder Keyboard am Werk. Das Ziel ist «ein richtiges Konzert». Dafür übt sie diszipliniert, entwirft Melodien und Texte. «Ich mach das so lange, bis ich was hab», sagt sie. «Aus nichts kommt nichts.» Und wenn dann ein Song steht, fragt sie sich, ganz Philosophin: «Bin ich das nun oder ist das eine andere?» Die Zuhörer mögen es entscheiden.

Erstmals veröffentlicht: 4.1.2017
Aktualisiert am 9.3.2022

«Es braucht Ausdauer und Disziplin. Aber ich schule das Denken und eigne mir eine Sprache an, mit der ich komplexe Zusammenhänge verstehe.»
Patricia Morf über ihr Studium:

Autor

  • Rolf Murbach

Foto

  • Michele Limina

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